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IMMER ICH

Programmvorschau 2010/2011

IMMER ICH

Konzept zur Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe 2010/11

Erst wenige Jahre des neuen Jahrhunderts sind verstrichen, doch es scheint schon deutlich zu sein, dass sich die Menschen des 21. Jahrhunderts neuen und vielfach dramatischen Problemen gegenübergestellt sehen werden: Noch gibt es keine schlüssigen Antworten auf die Veränderungen des Klimas und der Umwelt, auf die gigantische Wertvernichtung der internationalen Finanzmärkte und die drohende Ausdehnung kriegerischer Konflikte mit religiösem oder ethnischem Hintergrund. Vieles, was zum Ausgang des Zwanzigsten Jahrhundert noch als sichere, wahre, und beständige Grundannahme galt, scheint ins Wanken geraten zu sein.

Wie stellt sich nun das Individuum dieser Unsicherheit, diesen neuen Zumutungen und Herausforderungen? Zur Erosion vermeintlicher Ewigkeitswerte kommen schließlich noch die handfesten Probleme des persönlichen Alltags hinzu: Verliere ich den Arbeitsplatz? Werde ich meine Nächsten weiterhin vor Krankheit und Umweltbelastungen behüten können? Welche Ausbildung wird meinen Kindern ein gutes Leben auch in der Zukunft sichern? Tatsächlich gibt es Zeichen dafür, daß auch im übersichtlich geordneten psychischen Haushalt des Individuums einiges in Bewegung geraten ist: Während an einer Stelle radikale Identitätsentwürfe für das Individuum zur Debatte stehen – am radikalsten sicher in der Fragestellung für welches Geschlecht man sich entscheiden möge – wird andernorts die Rückkehr zu alten Erziehungs- und Entwicklungsmodellen gepredigt, die insbesondere dem haltlosen Jugendlichen Grenzen und Regeln wiedergeben sollen.

Zwischen diesen Polen gibt es offensichtlich eine Vielzahl an Auswahlmöglichkeiten, wie das eigene Ich beschaffen sein und entwickelt werden könne. Die Entscheidung darüber wird einem nicht leicht gemacht, denn alte Sicherheiten sind ins Wanken geraten. Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, bis hin zum traditionellen Familien­verband – alle scheinen sie an Einfluß auf das Individuum verloren zu haben. Je geringer die Rolle dieser Einrichtungen im täglichen Leben des Einzelnen ausfällt, umso mehr wird alles zur individuellen Entscheidung. Jeder Schicksalsschlag scheint vom Einzelnen getragen werden zu müssen, so wie auch jede Entscheidung allein getroffen wird. Immer Ich.

Und so arbeiten die Monaden des 21. Jahrhunderts weiterhin pflichtbewusst aber desorientiert an der Verbesserung ihres Ichs, medial aufgeputscht durch die ständige Aufforderung zur Selbstdarstellung: Von der Vorfuehrung privater Marotten und Probleme in den Nachmittagsshows zur Selbstpeinigung in den nicht abreißenden Casting-Shows, wo jedermann/frau für ein paar Stunden als potentieller Superstar gehandelt wird. Wer hier auf der Strecke bleibt, kann dem gekränkten Ich immer noch als Ego-Shooter am PC Geltung verschaffen, wenn moeglich aber bitte in den eigenen vier Wänden und ausschließlich mit virtuellen Waffen.

Eine gute Ausgangslage für den Kunstverein ArtHaus sein neues Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm unter das Motto „Immer Ich“ zu stellen. In dieser neuen Reihe wollen wir in Ausstellungen und weiteren kulturellen Veranstaltungen Anhaltspunkte dafuer praesentieren, wie der aktuelle Blick von Künstlern auf das Ich ausfällt. Dabei warden sowohl intime Einblicke in die individuelle Alltags­bewältigung gewährt als auch die generelle Auseinandersetzung mit gängigen oder auch neuartigen Ich-Modellen zum Thema gemacht werden.

Denn wie immer kann man erwarten, dass sich Künstler dem Thema aus unter­schiedlichen Haltungen und Perspektiven nähern: Neben autobiographische Erzählungen, wie z. B. Bildgeschichten, die vom Leben oder einer bestimmten Lebensphase des Künstlers berichten, werden wiederum Selbstportraits stehen, die eine Momentaufnahme des Künstler-Ichs und seiner Stellung in der Gegenwart geben. Experimentelle Perspektiven und Arbeitsweisen, die unter Umständen den Werkcharakter ganz verlassen, werden neben hergebrachten Darstellungsarten stehen.

Text: Juergen Broemmer